Schulverpflegung – Note 4.0

Dr. Michael Polster mit Johann Lafer beim deutschen Schulleiterkongress. Foto: Polster/DSNV
Thomas Klaus 26.11.2020 MAGAZIN  |  Titelthema  |  Küchenmanagement

Dr. Michael Polster, Vorsitzender des Deutschen Netzwerkes Schulverpflegung (DNSV), ist ein Freund klarer Worte. Im Exklusivinterview mit unserer Redaktion spricht er über Forderungen an die Politik, falsch investierte öffentliche Mittel, vernachlässigte Kinderbedürfnisse und die Kritik an Cook & Hold.

KÜCHE: Herr Dr. Polster, beim Thema „Schulverpflegung“ drängt sich immer rasch die Frage nach Noten auf. Also, welche Note würden Sie der Schulverpflegung geben?
Dr. Michael Polster: Eine 4,0. Mehr wäre das nicht.

Das ist nicht gerade überragend. Woran liegt das?
Die Schulverpflegung in Deutschland gleicht einem Patchwork-Teppich: Alles ist möglich und alle machen etwas. Da kochen Kinder für Kinder, Landfrauen, Caterer, kommunale Betriebe, Eltern und Großeltern für Kinder. Doch wir brauchen eine flächendeckende und gesunde Kita- und Schulverpflegung. Davon ist die derzeitige Situation der Schulverpflegung weit entfernt.

Wen sehen Sie da besonders in der Pflicht?
Ich, wir, das DNSV sehen die Bundespolitik in der Verantwortung. Doch in den letzten Jahren wurden die Möglichkeiten, die der Bund in diesem Bereich hat, nicht genutzt. Die meisten allgemeinbilden Schulen in Deutschland verfügen über keine angemessene Verpflegungsstruktur.

Wie kann man denn eine angemessene Verpflegungsstruktur in Ihrem Sinne hinbekommen?
Vorweg: Das Thema Schulverpflegung darf nicht auf die Caterer abgeschoben werden. Cateringunternehmen sind keine pädagogischen Einrichtungen und tragen letztlich dafür nur eine Teilverantwortung. Und diese besteht darin, dass sie optimales Essen produzieren. Die Politik hat es bisher über all die Jahre versäumt, die Bedürfnisse von Kindern ernst zu nehmen. Vor allem zwei Punkte verhindern eine angemessene Verpflegungsstruktur: Erstens steht das zurzeit geltende Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern einem flächendeckenden Ausbau der Schulverpflegung im Wege. Und zweitens ist die derzeitige öffentliche Finanzierung nicht ausreichend.

Der Staat gibt aber doch schon viel Geld für diese Zwecke aus?
Was wir brauchen, sind direkte Mittel zur Förderung des Schulessens, also endlich Geld ins System, anstatt in PR-Aktionen zu investieren. Plakate, Lernkoffer und Websiten machen die Situation nicht besser und keine Kinder satt. Ein notwendiger Perspektivwechsel muss her, weg von der Schul- hin zur Schüler-Verpflegung. Und der muss unmittelbar mit schulischen Bildungsangeboten rund um Ernährung zusammengehen.

Ein Thema, das das Deutsche Netzwerk für Schulverpflegung immer wieder aufgreift, ist eine angebliche Steuerungerechtigkeit.
Ja. Schul- und Kitaessen – all dies wird noch immer mit 19 Prozent besteuert. Doch Kinder gestalten unsere Zukunft: Das gute und gesunde Aufwachsen von Kindern ist deshalb eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft; ihre Bedürfnisse sind Grundbedürfnisse im Interesse der Allgemeinheit. Das DNSV fordert deshalb die Abschaffung der 19-Prozent-Besteuerung in diesem Bereich. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Schulessen mit 19 Prozent besteuert wird, aber Fastfood-Verköstigung und Tierfutter lediglich mit 7 Prozent angesetzt werden.

Vorhin hatten Sie eine optimale Essensproduktion durch Caterer angesprochen. Das bringt mich zu der Frage, welches der Verpflegungssysteme von Ihnen empfohlen wird.
Klare Antwort: Das ist die Frischküche vor Ort. Dort wo ein frisches Essen auf den Tisch kommt, ist die Akzeptanz am größten. Und es gibt bei den Konsumentinnen und Konsumenten die besten Noten. Wichtig zu wissen: Frisch gekochtes Essen ist nicht sehr viel teurer.

Doch am weitesten verbreitet ist die Warmhalteküche, also Cook & Hold. Das kritisieren Sie?
Richtig. Bei Cook & Hold werden die Mahlzeiten in zentralen Küchen externer Essensanbieter gekocht und in geeigneten Warmhaltebehältnissen über teilweise längere Entfernungen in die Einrichtungen gebracht. Dort werden sie nach Standzeiten von bis zu maximal drei Stunden an die Kinder und Jugendlichen ausgegeben. Stellt man die Vor-und Nachteile der verschiedenen Produktionsformen letztlich gegenüber, so gewinnt aus der Sicht des DNSV nur die Frischküche.

Für die Schulverpflegung gilt: Organisatorische und monetäre Gesichtspunkte regieren die Prozesse. Und Bildungsinteressen werden vernachlässigt. Mit der Ausschreibung und Vergabe der Versorgungsaufgabe an Cateringunternehmen glaubt man die Probleme zu lösen. Die Bildungschance der Schulverpflegung wird verkannt. Die ist letztlich nur durch eine Mahlzeitenproduktion möglich, die täglich vor Ort erfolgt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview ist in erstmals KÜCHE 6/2019 erschienen. Weitere aktuelle Informationen zum Thema Schulverpflegung finden Sie in unserer Dezember-Ausgabe 12/2020. Noch kein Abo? Dann schnell hier entlang.


DR. MICHAEL POLSTER
1952 geboren, promovierte Polster in Philosophie und Wirtschaftswissenschaften in Berlin. Heute ist er als Publizist, Autor und Gastro-Fachjournalist tätig. Polster ist außerdem Gründer und Vorsitzender des Deutschen Netzwerkes Schulverpflegung e. V. (DNSV) Beiratsmitglied der EU-Miniköche Ehrenpräsident des Institute of Culinary Art (I.C.A.)