Einflussreiche Wissenschaftler*innen geben gegenüber Politik und Öffentlichkeit den Takt vor: Sie fordern unmissverständlich die Reduzierung des Fleischkonsums und stellen Steuererhöhungen und Werbeverbote in den Raum.
Mit der Broschüre „Unsere Wurst – unser Geschmack: Lieblingswurst aus der Politik“ gelang dem Bundesverband der deutschen Fleischwarenindustrie in diesem Jahr ein kluger Schachzug. Einige Politiker*innen aus Bund und Ländern verrieten darin ihre liebsten Wurstgerichte. Sogar die Grünen-Politiker Friedrich Ostendorff und Markus Tressel aus dem Deutschen Bundestag ergriffen für das westfälisch-münsterländische Panhas beziehungsweise die Lyoner Wurst aus dem Saarland das Wort. Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik, die sich so öffentlichkeitswirksam für die Lust am Fleisch ins Zeug legen, sind allerdings selten geworden. Denn auch von Seiten der Politik weht den Fleischliebhabern zunehmend ein schärferer Wind entgegen.
Wissenschaft mit klaren Forderungen
Für die Wissenschaft gilt das erst recht. Was Wissenschaftler*innen zum Thema Fleischkonsum zu Papier bringen, kann Köch*innen nicht kalt lassen. Denn oft zeigen die Forschenden den Weg auf, der gesellschaftlich gegangen werden soll und später auch wird. Für Politiker*innen wird es umso schwieriger, einen anderen Kurs zu steuern, je energischer Wissenschaftler auftreten und argumentieren.
Sehr deutlich wird das im Gutachten „Politik für eine nachhaltigere Ernährung“ des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (WBAE). In Sachen Fleisch ist die Linie glasklar. „Eine global verträgliche Ernährung“, heißt es in dem Gutachten aus dem Sommer 2020, „erfordert zwingend einen Rückgang des hohen Konsums tierischer Produkte in wohlhabenden Ländern.“ Der WBAE fordert konkret unter anderem das Abschaffen des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für tierische Erzeugnisse. Eine spezifische Nachhaltigkeitssteuer müsse eingeführt, ein verpflichtendes Klimalabel für alle Lebensmittel entwickelt und etabliert werden. Außerdem sollten die Verbraucherinnen und Verbraucher für die „Klimarelevanz tierischer Produkte“ sensibilisiert werden. Nicht zuletzt spricht sich der WBAE dafür aus, dass die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in der Gemeinschaftsverpflegung Pflicht sein sollten.
DGE will neue Maßstäbe setzen
Das wird die DGE sicherlich freuen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung wiederum will mit ihrem im Juni 2021 veröffentlichten Positionspapier zur nachhaltigeren Ernährung neue Maßstäbe setzen. Neuerdings beschränkt sich die DGE demnach nicht mehr nur auf eine gesunde Ernährung, sondern bezieht die Gesichtspunkte Umwelt, Soziales und Tierwohl mit ein – und das gleichberechtigt.
Das bedeutet konkret unter anderem, dass die Organisation genau unter die Lupe nehmen will, ob die Lebensmittel „unter sozial verträglichen Umständen“ produziert und verarbeitet wurden. Kriterien sind hier etwa angemessene Löhne und die Frage, wie ernst Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Unfallverhütung genommen wurden. Die DGE spricht sich für ein Siegel aus, das – ähnlich wie das Fairtrade-Label – die soziale Dimension bewertet.
Das Positionspapier zur nachhaltigeren Ernährung lässt auch Wasser auf die Mühlen der Fleischgenuss-Kritiker fließen. Eine Ernährung mit überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln könne einen „großen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten“. Nach Auffassung der DGE sollten deshalb weniger Fleischprodukte gegessen werden. Zugleich müsse der Tierwohl-Charakter ausgebaut und nachgewiesen werden. Bei der gegenwärtigen Überarbeitung der lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen (FBDG) der DGE sind Neubewertungen des Fleischkonsums zu erwarten.
Von Preissteigerung bis Werbeverbot
Noch deutlicher und fordernder werden die Forschenden des Wuppertal-Institutes für Klima, Umwelt und Energie. Dieses Institut wird vom Land Nordrhein-Westfalen grundfinanziert. In einem sogenannten Zukunftsimpuls sprachen sich die Wissenschaftler*innen im Juli 2021 für andere Rahmenbedingungen und das Setzen von Preisanreizen aus. Für die Verantwortlichen in der Gemeinschaftsverpflegung sollte das Anbieten und Verkaufen sogenannter ressourcenleichter Produkte auch durch verpflichtende Schulungen erleichtert werden. Unter anderem stellen die Forschenden eine differenzierte Klimasteuer zur Diskussion, die sich nach dem Ressourcenverbrauch richtet. Das hieße zum Beispiel, dass pro Kilogramm Rindfleisch 1,46 bis 4,79 Euro mehr gezahlt werden müssten; pro Liter Milch wären es 0,07 bis 0,23 Euro.
Ein radikales Begehren: Nach den Vorstellungen des Wuppertal-Institutes sollte Werbung mit ressourceintensiven Produkten, wie etwa Fleisch, verboten sein. Allerdings sind die Forschenden des Wuppertal-Institutes nicht die ersten, die in diese Kerbe schlagen. Im Februar forderte auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace ein Totalverbot der Fleischwerbung.