In der Justizvollzugsanstalt Werl leisten Andreas Plattner und Dirk Pauli einen wichtigen Beitrag zur Resozialisierung von Straftätern: Sie bilden „schwere Jungs“ zu Köchen aus.
Der Arbeitsplatz der Köche Andreas Plattner und Dirk Pauli ist zweifelsfrei ein besonderer Ort. Mit seiner sechs Meter hohen stacheldrahtgekrönten Mauer, den fünf Wachtürmen und zahleichen Überwachungskameras gleicht der Gebäudekomplex der Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen einer modernen Festung. Wer hier arbeitet oder wie die rund 1.000 Gefangenen eine Haftstrafe absitzt, für den teilt sich die Welt unübersehbar in zwei Hälften: drinnen und draußen.
Die JVA Werl gehört zu den größten Justizvollzugsanstalten der Republik, der Sicherheitsstandard ist entsprechend hoch. Die hier geltenden grundlegenden Prinzipien Sicherheit und Ordnung prägen auch den Arbeitsalltag von Andreas Plattner, Leiter der Ausbildungsküche, und seinem Souschef Dirk Pauli.
„Ohne Schlüssel geht hier nichts“
„Ohne Schlüssel geht hier nichts“, erzählt der 43-jährige Plattner, der ähnlich wie sein jüngerer Kollege Pauli nach einer Kochausbildung in der Hotelgastronomie einige Jahre Berufserfahrung „draußen“ und als Hauptverpflegungsverwalter bei der Bundeswehr sammelte, bevor er 2006 eine Ausbildung zum Justizvollzugsbeamten in Werl begann.
Die Ausbildung zum Justizvollzugsbeamten ist Pflicht für alle Köche in der JVA. Warum das so ist, wird schnell deutlich, wenn man Andreas Plattner vom Eingang der JVA auf seinem langen Weg zum Verwaltungsgebäude begleitet, in dem die Küche liegt. Eine Sicherheitstür nach der anderen öffnet und schließt der Koch mit seinem mit Pieper versehenen Spezialschlüssel. Sollte jemand auf die Idee kommen, den Leiter der Ausbildungsküche von seinem Schlüssel trennen zu wollen, ist Action angesagt in der JVA – das ist sicher.
Zwei Küchen – ein System
Die Ausbildungsküche der JVA Werl wurde 1999 eingerichtet und dient als Kantine für die Mitarbeiter der JVA. Täglich werden hier etwa 80 Beschäftigte mit Frühstück und Mittagessen versorgt. Unter die mischt sich ab und zu auch Fernsehprominenz, wie etwa der langjährige Anstaltsarzt und Schauspieler Joe Bausch, bekannt als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth im Kölner Tatort.
Bei einem größeren Umbau 2011 wurde die Ausbildungsküche von der eigentlichen Anstaltsküche, wo täglich 950 Essens pro Mahlzeit (Frühstück, Mittagessen, Abendbrot) für die Strafgefangenen der JVA Werl zubereitet werden, getrennt und in das Stockwerk darüber ausgelagert. Die Ausbildungsköche Plattner und Pauli gehören zur Küchenmannschaft von Gesamtküchenleiter Rolf Braier, die sieben gelernte Köche, zwei ungelernte Kräfte und einen Metzgermeister umfasst.
„Wir kochen hier weitgehend nach dem
Frischkostsystem“
Unterstützt werden die Profis, die im Schichtdienst von 5.00 Uhr morgens bis 15.00 Uhr nachmittags arbeiten, von bis zu 46 Insassen der JVA. Der Hintergrund: Gefangene sind laut § 29 StVollzG NRW zur Ausübung einer ihnen zugewiesenen Beschäftigung verpflichtet.
„Wir kochen hier weitgehend nach dem Frischkostsystem“, erläutert Braier, „zum einen weil es die DGE empfiehlt, zum anderen weil wir die Leute ja auch beschäftigen müssen. Wir machen den Rotkohl frisch und hinten in der Metzgerei unsere Bratwurst selbst.“ Was gekocht wird, ist in der Verpflegungsverordnung geregelt. Neben Normalkost, vegetarischer und muslimischer Kost gibt es zusätzlich eine Reihe an Krankenkostformen. Insgesamt machen die Sonderkostformen etwa ein Drittel der JVA-Verpflegung aus.
Personalmangel hat die Anstaltsküche der JVA nicht – Fachkräftemangel schon eher, da unter den wechselnden Insassen nicht immer ausreichend Leute mit Vorkenntnissen sind. Auch die unterschiedlichen Nationalitäten und Sprachbarrieren sind eine Herausforderung im Küchenalltag. Die Ausbildungsköche sind zwar hauptsächlich in der Personalkantine eingesetzt, helfen aber in der Anstaltsküche aus, wenn Not am Mann ist. Langweilig wird es nie, sind sich Andreas Plattner und Dirk Pauli einig.
Kochausbildung zur Resozialisierung
Entspannter als in der Anstaltsküche und mit einer anderen Zielsetzung geht es in der kleineren Ausbildungsküche von Andreas Plattner und Dirk Pauli zu. Neben der Verpflegung der Angestellten der JVA, die mittags zwischen normaler Vollkost und vegetarischer Küche wählen können, stehen hier Ausbildung und soziale Wiedereingliederung der Gefangenen im Vordergrund. Seit 2001 werden in Werl bis zu sechs Köche ausgebildet, maximal drei pro Ausbildungsjahr.
Die Ausbildung in Werl dauert nur zwei Jahre, da das erste Jahr in der Erwachsenenbildung entfällt. Sie endet wie jede andere mit der IHK-Prüfung, nur dass diese hier in der Ausbildungsküche der JVA stattfindet, erläutert Andreas Plattner. Der praktische und fachtheoretische Unterricht wird von den Ausbildungsköchen vermittelt – Unterricht in den Fächern Deutsch, Mathematik und Wirtschaftslehre von den Lehrkräften der anstaltseigenen Schulabteilung.
Was die Azubis unter Anleitung kochen, wird von den Angestellten gegessen – das Tagesgericht ist für 3,30 Euro zu haben. „Wenn es etwas Besonderes gibt, z.B. Rumpsteak, dann schlage ich auch schon mal auf“, sagt Plattner. Ziel ist es, möglichst kostendeckend zu arbeiten. In kleiner Menge gibt es auch schon mal richtig Edles auf der Karte. Frische Forellen, Dorade, Austern und Hummer finden den Weg auf den Speiseplan, wenn es der Ausbildung dient: „Es ist wichtig, dass wir unseren Azubis auch die Verarbeitung solcher Produkte zeigen“, betont Pauli. „Die meisten sehen das bei uns zum ersten Mal.“
Besonderen Wert legen die Profis aber auf die Vermittlung der Basics, wie etwa die Herstellung von Saucen und Fonds. „Es gibt möglichst wenig aus der Packung“, erzählt Küchenleiter Plattner. Fertigprodukte kommen möglichst nur dann zum Einsatz, wenn die Insassen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung nicht zur Verfügung stehen. Und das kann in einer JVA eben immer mal vorkommen, so Plattner.
„Wir leisten einen wichtigen Beitrag
zur Resozialisierung“
Ihre Azubis suchen sich die Ausbildungsköche mit Bedacht aus. Neben der Länge der Haftzeit – die Prüfung soll nahe dem Entlassungstermin liegen – muss vor allem die Persönlichkeit stimmen, erzählt Dirk Pauli: „Ist der Azubi praktisch geeignet, bringt er den Willen und den Intellekt mit? Es gibt viele Leute hier, die haben in ihrem Leben noch nie etwas zu Ende gebracht.“
Ein schriftlicher Test klärt vorab, ob genügend Deutschkenntnisse vorhanden sind und die Grundrechenarten beherrscht werden, ein zweimonatiges Praktikum in der Ausbildungsküche, ob die praktische Eignung gegeben ist. Erst dann kann es losgehen. „Schließlich begleiten wir die Leute zwei Jahre und wollen, dass sie die Prüfung auch schaffen und draußen im Beruf bestehen können“, so Plattner.
Ausschlusskriterien sind Diebstahl, Drogenmissbrauch und Gewaltdelikte. Keine Rolle spielt bei der Auswahl das Delikt, das zur Inhaftierung führte, ergänzt Pauli. Zu den bekannteren Persönlichkeiten, die in Werl erfolgreich ihre Kochausbildung absolvierten, gehört Dieter Degowski, einer der beiden Täter des Gladbecker Geiseldramas 1988. „Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Resozialisierung“, darauf sind Andreas Plattner und Dirk Pauli zu Recht stolz.
Aktuell bereitet sich einer von Paulis und Plattners Schützlingen auf seine Abschlussprüfung vor. Der Enddreißiger ist besonders ehrgeizig. Besteht er die Prüfung zum Koch, kommt er in den offenen Vollzug und hat gute Aussichten auf Haftentlassung nach zwei Drittel der Zeit. Sein Berufsziel: ein Job in der Gastronomie.
Für seine Prüfung fühlt er sich gut gewappnet. Doch Pauli und Plattner wissen, dass sie kurz vor der Prüfung stark gefordert sein werden. „Das ist der schlimmste Zeitraum für die Insassen und für uns auch. Da steigt die Nervosität enorm und es ist besonders wichtig, die richtige Balance zwischen Strafvollzug und Ausbildung zu finden. Ist dann mal ein schlechter Tag dabei, macht sich schnell Hoffnungslosigkeit breit, da muss man als Ausbilder gegenarbeiten und Perspektive geben.“
Neben dem Gestaltungsspielraum, den die beiden Ausbildungsköche der JVA haben, ist es gerade dieser Punkt, der ihnen besonders an ihrer Arbeit gefällt: „Wir sind nicht nur für Sicherheit und Ordnung zuständig – bei uns erfährt der Gefangene Wertschätzung für seine Arbeit“, so Plattner.
Dieser Beitrag ist zuerst in KÜCHE 1/2019 erschienen.