KÜCHE-Kolumnist Steffen Sinzinger argumentiert, dass die Kochausbildung völlig überholt ist, da sie sich an einem Ausbildungsrahmenplan orientiert, der zuletzt vor fast 25 Jahren aktualisiert wurde. Wir wollen wissen: Wie zeitgemäß finden Sie die Kochausbildung?
Ungefähr 2.000 Kochbücher erscheinen jedes Jahr – und das nur in Deutschland. Natürlich beschäftigt sich der größte Teil mit Themen wie Superfood, Chili, Bowls und anderen international geprägten Kochtrends. Ein weiterer großer Teil sind Werke bekannter Köch*innen, die mit großartigen Fotos und erstaunlichen Rezepten gefüllt sind. Nur eine Handvoll Kochbücher beschäftigt sich mit dem Thema Ausbildung.
Das bekannteste Lehrkochbuch „Der junge Koch/Die junge Köchin“ begleitet die Azubis während der Kochlehre. Dieses Standardwerk passt sich zunehmend den heutigen Realitäten in den Profiküchen an, doch leider nur in sehr kleinen Schritten. Und das hat seinen guten Grund. Denn der Ausbildungsrahmenplan, der im Prinzip das Grundgerüst für dieses Standardwerk ist, wurde zuletzt 1997(!) aktualisiert. Das muss man erst mal sacken lassen.
In den Augen der Verantwortlichen, die für diesen Rahmenplan zuständig sind, gibt es augenscheinlich keinen Handlungsbedarf, obwohl die Branche aus allen Richtungen danach schreit. Das war vor Corona so und spitzt sich nun weiter zu. Die Herrschaften in den IHKs tun derzeit so, als hätte sich gastronomisch in den letzten zwei Jahrzehnten nicht viel getan. Auch frage ich mich, ob unsere gewählten Vertreter vom Verband der Köche genügend Druck ausüben.
Ich denke schon, dass in einem Jahr des gastronomischen Stillstands viel Zeit gewesen wäre, sich mit dem Thema mehr zu beschäftigen. Doch bevor sich hier etwas für uns Köche tut, lese ich in der letzten Ausgabe der KÜCHE, dass coronabedingt leider keine Wettbewerbe mehr für die Nachwuchstalente angeboten werden können. Ich denke, wir haben da gerade ganz andere Probleme.
Neben Aspekten wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz muss sich darüber hinaus an der Front der Zubereitungs- und Gartechniken dringend etwas tun. In den Berufsschulen beschränken sich die Lehrer noch viel auf die längst überholten frankophilen Kochtechniken, während Sous-vide weder in der Ausbildung noch in der Prüfung eine Rolle spielt. Man darf nicht vergessen, dass diese Art der Zubereitung eine Technik aus den 1970ern ist!
Ganz zu schweigen von den gewünschten Garpunkten, die in der Abschlussprüfung vorgelegt werden müssen. Wenn Fleisch und Fisch per se „totgegart“ werden müssen und glasig gebratener Fisch untersagt ist, dann ist das einfach nicht zielführend.
Der Kochberuf muss schleunigst wieder attraktiv gemacht werden. Aufgrund der Pandemie gehen uns nicht nur zwei komplette Jahrgänge flöten, sondern ebenso die Aussicht auf eine baldige Besserung. Welche Schulabsolvent*in riskiert denn drei Jahre Ausbildungszeit in einer Branche, deren Zukunft auf wackligen Beinen steht und wo die Ausbildung mehr als nur angestaubt ist?
Wir müssen mit einer neuen Ausbildungsverordnung die Grundlagen schaffen, dass unsere Auszubildenden und späteren Köche/-innen in Themenschwerpunkten wie vegetarische, vegane und ähnliche Alternativen wieder konkurrenz- und handlungsfähig sind. Damit beispielsweise das Thema nachhaltige Gastronomie keine hohle Phrase, sondern möglichst bald Realität ist.
Last but not least: In der letzten Ausbildungsverordnung ist auch nichts über die Digitalisierung des Berufs zu lesen. Vermutlich hatte man noch das Piepsen und Pfeifen der 56k-Modems im Ohr, als man diese Verordnung verfasst hat.
Heute in Zeiten von 5G-Netzwerken ist das Abgeben der täglichen Order über Onlineplattformen längst Alltag geworden. Teilweise wird ein Warenmanagement samt Inventur über digitale Endgeräte in Echtzeit geführt. Erste Ansätze dazu müssen ebenfalls in der Ausbildung vermittelt werden. Wir schwimmen in jeglichen Punkten der Ausbildung unserer Konkurrenz hinterher. Und die sitzt nicht im Ausland, sondern steht bei uns als Convenience-Produkt im Kühlregal der Lieferanten.
Denn sollten wir es nicht schaffen, die Ausbildung angemessen zu reformieren, dann wird sich die Problematik mit der Personalakquise verschärfen. Diese zu lösen, wird von den verantwortlichen Küchenchefs und Personalmanagern zweifelsohne über den einfachen Weg vollzogen werden. In der Konsequenz wird das den Erwerb von Fertigprodukten und die langsame Abschaffung des Handwerks bedeuten. Ein Comeback wäre das sicher nicht.
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