Spitzenpatissier René Frank beweist mit dem „Coda Dessert Dining & Bar“ in Berlin, dass die moderne Patisserie viel mehr sein kann als der letzte Gang eines Menüs. Jetzt wurde das Coda als erstes Dessert-Restaurant weltweit mit einem zweiten Stern des Guide Michelin ausgezeichnet.
Wer in der Friedelstraße im hippen Berliner Stadtteil Neukölln unterwegs ist, der muss aufpassen, dass er nicht versehentlich an der Nummer 47 vorbeiläuft, so unauffällig reiht sich das Coda – Deutschlands erstes und bislang wohl auch einziges Dessert-Restaurant – in die Reihe graffitigeschmückter Häuserfassaden ein. Im August 2016 von Patissier René Frank und Geschäftspartner Oliver Bischoff (ett la benn) eröffnet, überzeugt das Coda im Inneren mit kühlem Charme. Rund 30 Gäste finden an den wenigen Holztischen und entlang der gut bestückten Bar mit Blick zur offenen Küche Platz. Mehr „casual“ geht (fast) nicht.
Der Name ist Programm
Coda – das bezeichnet in der Musik den Schlussteil eines Stückes, vergleichbar dem Dessert im klassischen Menü. In René Franks Coda steht das Dessert im Mittelpunkt des Geschehens, ist nicht der Schlusspunkt, sondern wird in jedem einzelnen Gang der beiden Menüs – sieben Gänge zum Dinner ab 19 Uhr, drei bis vier Gänge im Late Night-Angebot ab 22 Uhr – neu gedacht und zelebriert. Dabei wird jeder Gang mit einem Drink begleitet, der die Geschmackrichtung und die Aromen des Desserts ergänzt. À la carte gibt es die Coda-Desserts mit „Pairing Drink“ heute nur noch im Ausnahmefall, erzählt René Frank. Das Menü bestimmt das Konzept. Aber bis zu sieben Desserts an einem Abend – und das funktioniert am Gast? Und ob, denn Franks Desserts sind keine „schweren Zuckerbomben“.
Bei seinen Kreationen setzt der mehrfach zum Patissier des Jahres ernannte Koch vor allem auf natürliche Süße statt auf raffinierten Zucker. Und auch Milch, Sahne und Butter gehören nicht zu den Hauptzutaten der Coda-Kreationen. Anders, vor allem aber leicht und bekömmlich, darin liegt der Schlüssel zur Akzeptanz der Dessert-Menüs.
Geschmack vor Süße
„Wenn man ein Dessert macht, warum muss immer der Zucker im Vordergrund stehen, warum nicht der Geschmack?“, fragt René Frank und arbeitet konsequent mit nicht industriell hergestellten Produkten, deren natürliche Süße er herausarbeitet. Neben raffiniertem Zucker sind künstliche Aromen, Farben und Zusatzstoffe im Coda tabu.
„Unsere Schokolade für die Desserts und die Pralinen machen wir selbst“, erzählt der 34-jährige Patissier. Dabei werden rohe Kakaobohnen aus kontrolliertem Anbau mit der Steinwalze zu Schokolade verarbeitet. Gesüßt wird mit ausgewähltem Muscovado- oder Kokosblüten-Zucker, so Frank. „Da ist nichts Chemisches dran, keine Farbe, nichts.“ Ein zeitgemäßer Ansatz, von dem er sich wünscht, mehr Patissiers gingen ihn mit, anstatt weiter eine zuckrig bunte „Instagram-Patisserie“ zu verfolgen.
Bei allen Desserts, die Frank mit seinem vierköpfigen Patisserie-Team im Coda entwickelt, geht es vor allem um das gelungene Spiel der Geschmacksrichtungen: Die natürliche Süße aus Gemüse und Früchten, herbe Noten von Kräutern und Oliven, die Salzigkeit von Käse und Sardellen, die Säure aus Zitrusfrüchten, hausgemachtem Essig oder Tamarinde – Umami aus Hülsenfruchten, Pilzen oder fermentiertem Reis. Frank weiß nur zu gut, dass seine Dessert-Menüs geschmacklich ausgewogen sein müssen, damit der Gast nicht am Ende doch noch Lust auf eine Currywurst verspürt.
Inspiration durch internationale Patisserie-Techniken
Inspirieren lässt sich das Coda-Team bei der Entwicklung der Kreationen vor allem von internationalen Patisserie-Techniken. Damit kennt der Spitzenpatissier sich aus, schließlich arbeitete er unter anderem in Barcelona in der Chocolaterie Oriol Balaguer, in den Drei-Sterne-Restaurants Akelarre in San Sebastian und George Blanc im französischen Vonnas, bevor er nach Aufenthalten in Japan (Nihonryori RyuGin, Kikoni) und der Schweiz (Lampart’s) in die Heimat zurückkehrte und sechs Jahre als Chef-Patissier für Thomas Bühner im ehemaligen La Vie tätig war.
Auf die Produktentwicklung legt Frank viel Wert – ein Tag in der Woche ist im Coda für die Kreativschmiede eingeplant. Dann wird ausprobiert, ausprobiert und nochmals ausprobiert. Der Dessert-Gang Trinitario Kakao (links) beispielsweise ist vom philippinischen Champorado angeregt, der hier auf Bonito trifft und mit getrocknetem Apfel in einem japanischen Sake als Pairing-Drink seine Vollendung findet. Überhaupt der Sake – der ist ein besonderes Steckenpferd von René Frank, der auch bei der umfangreichen Getränkekarte mit rund 100 Positionen viel Wert auf Handgemachtes von Winzern und Destillerien seines Vertrauens legt. Die Pairing Drinks finden sich nicht auf der Getränkekarte, denn sie sind – am ehesten vergleichbar mit einer Sauce – Teil des Desserts.
Vier Jahre nach der Eröffnung hat sich Coda Dessert Dining & Bar, zu dem René Frank von Will Goldfarbs Dessertbar „Room4Dessert“ inspiriert wurde, etabliert. Ein Restaurant nur mit Dessert-Menüs ist immer noch erklärungsbedürftig, ein bisschen wie von einem anderen Stern.
Aber Auszeichnungen wie die des Guide Michelin, der 2019 den ersten Stern vergab und Anfang März gleich den zweiten folgen ließ, helfen dabei, das Konzept bekannter zu machen und damit auch wirtschaftlich zu gestalten.