Das Internet vergisst nie

Björn Grimm über Social Recruiting und seine Tücken – Foto: Jens Doden/Ostfriesenzeitung
Björn Grimm 23.09.2024 MAGAZIN  |  Karriere

Heutzutage ist es nicht ungewöhnlich, zwei Betriebe gleichzeitig zu führen. Den einen, in dem man sich physisch aufhält – und den anderen im Internet, der als erster Eindruck bei Gästen und Mitarbeitenden eine große Rolle spielt.

Das hat auch Konsequenzen für die Personalsuche. Ein Beispiel: „Motivierter Küchenchef sucht im PLZ-Raum 2 ein neues Tätigkeitsfeld“ – mein Unternehmerherz schlug schneller, als ich kürzlich in den sozialen Medien dieses Stellengesuch sah. Denn genau diese Position wird in unserem Betrieb sehr bald vakant und neu zu besetzen sein. Sollte sich wirklich so schnell eine Lösung abzeichnen? Doch dann scrollte ich durch das Social-Media-Profil und die letzten Posts des stellensuchenden Küchenchefs und stieß dort schnell auf klare Bekenntnisse zu rechtextremen Parteien. „Wie gewonnen, so zerronnen“, dachte ich mir, denn dieses Gedankengut ist mit unseren Werten nicht vereinbar und dieser Facebook-Nutzer somit als neuer Mitarbeiter uninteressant geworden. Hätte ich das nicht rechtzeitig erkannt, hätte uns dieser Bewerber wahrscheinlich wertvolle Ressourcen gekostet. 

Der virtuelle Auftritt stellt somit für den Arbeitgeber eine Chance, für die (zukünftigen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch oft ein Risiko dar, da die Trennung zwischen Privat- und Berufsleben verwischt wird. Bewerberinnen und Bewerber können über ihre Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken oft in einer Weise durchleuchtet werden, die über ihre fachlichen Qualifikationen hinausgeht. Persönliche Interessen, politische Ansichten und das soziale Umfeld werden Teil des Bewerbungsprozesses. Im obigen Beispiel ist das gut für den Unternehmer, der eine Stelle zu besetzen hat. Es kann aber auch problematisch sein, weil es vom Wesentlichen ablenkt: der beruflichen Eignung und den fachlichen Fähigkeiten.

„Bewerberinnen und Bewerber können über ihre Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken oft in einer Weise durchleuchtet werden, die über ihre fachlichen Qualifikationen hinausgeht.“
Björn Grimm 

Social Recruiting bevorzugt diejenigen, die in sozialen Netzwerken stark präsent sind und sich gut „vermarkten“ können. Doch nicht jeder fühlt sich wohl dabei, sein Leben und seine Karriere in sozialen Netzwerken zur Schau zu stellen. Besonders introvertierte Menschen haben oft das Nachsehen. Dies führt zu einer unbewussten Benachteiligung bestimmter Bewerbergruppen, was dem Grundgedanken der Chancengleichheit widerspricht.

Hinzu kommt, dass die oft propagierte „Nähe“ in sozialen Netzwerken trügerisch ist. Ein „Like“ oder ein Kommentar unter einem Beitrag kann den Eindruck einer persönlichen Verbindung erwecken, ist aber weit entfernt von einer echten menschlichen Interaktion. Soziale Medien verleiten dazu, Beziehungen zu oberflächlich zu betrachten, was die Qualität von Rekrutierungsprozessen beeinträchtigen kann.

Dennoch – es geht nicht ohne. Durch primär visuell dargestellte Mehrwerte und nutzenstiftende Aussagen erreicht man eine höhere Attraktivität. Sie müssen aber auch der Realität entsprechen, denn irgendwann holt einen die Wahrheit ein und führt dann zu unangenehmen Erkenntnissen und Reaktionen. Wie im Fall des Küchenchefs, der übrigens immer noch auf der Suche ist und durch die Posts auf seinem Social-Media-Profil einen Einblicke gewährt, die ihm Türen verschließen. 

Ihr Björn Grimm



Björn Grimm ist Mitglied der Geschäftsleitung eines Hotelbetriebes in Norddeutschland und berät als Inhaber der Grimm Consulting seit 20 Jahren erfolgreich mittelständische Gastronomen und Hoteliers.

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