Rainer Lagemann bietet Schulungen für Gastronomie und Hotellerie zum Thema Beschwerdemanagement an. Sein Rat: Weniger Konfrontation, mehr Kooperation. Wie das mit FBI-Methoden und dem IKEA-Prinzip am besten geht, erklärt er im Interview.
KÜCHE: Herr Lagemann, was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Beschwerden in der Gastronomie? Gibt es da eine Rangliste?
RAINER LAGEMANN: Ja, die gibt es. Und meine Antwort wird Sie vielleicht überraschen. An erster Stelle steht die Art und Weise, wie mit der Beschwerde oder dem Anliegen des Gastes umgegangen wird. Das heißt: Es ist gar nicht so entscheidend, was tatsächlich passiert ist, zum Beispiel der nicht erfüllte Wunsch nach einem Fensterplatz, die unaufmerksame Bedienung, die lauwarme Suppe. Egal, worum es geht, am Ende des Tages geht es um enttäuschte Erwartungen. Beispiel: Ein Mann möchte seiner Begleitung beim Abendessen etwas bieten. Nun betreten sie das Restaurant. Statt „Herzlich willkommen“ heißt es: „Haben Sie reserviert?“ Erster Minuspunkt, denn das vermittelt eher den Eindruck einer Behörde als den eines Gastgebers. Aber gut, nehmen wir an, der Herr hat reserviert mit dem Verweis auf den Fensterplatz und bekommt nun einen Platz in der Mitte des Restaurants zugewiesen. Dass der Gast dann weniger nachsichtig ist, wenn das Steak zu durch oder die Suppe zu kalt ist, ist das nachgelagerte Problem, nicht das primäre. Die Ursache liegt dann manchmal eher darin, dass zunächst nicht auf das Beziehungskonto eingezahlt wurde und man somit als Gastgeber kein Guthaben hat. Wenn dann etwas schiefgeht, ist man – um bei der Metapher zu bleiben – sofort im Dispo.
Gilt das auch für die Hotellerie?
Das oben Gesagte gilt 1:1 auch für die Hotellerie. Ein Klassiker in der Hotelgastronomie ist, dass für jeden Hotelgast jederzeit ein Platz im Restaurant zur Verfügung stehen muss. Tenor: „Ich bin Hotelgast. Sie müssen doch in der Lage sein, Ihren Gästen einen Platz im Restaurant anzubieten“.
Wie geht der Service am besten damit um?
Grundsätzlich sind zwei wesentliche Aspekte zu beachten. Zum einen der Perspektivenwechsel: Wie würde ich mich in dieser Situation fühlen? Was würde ich selbst erwarten? Was würde ich mir von der Servicekraft wünschen, wenn ich enttäuscht oder hungrig bin, aber noch eine Stunde warten muss?
Und der zweite Aspekt?
Bewährte Techniken von FBI-Agenten in Gefahrensituationen, zum Beispiel bei einer Geiselnahme, anwenden. Denn die Situationen sind durchaus vergleichbar: Beide müssen ad hoc und „unter Strom“ gelöst werden, der andere hat die Macht (die Waffe, die Geisel) und sucht unter Umständen bewusst Aufmerksamkeit und eine Bühne. Immer geht es darum, dass niemand das Gesicht verliert, sonst eskaliert die Situation. Zu den FBI-Methoden gehören:
- Profiling: Wie tickt der andere – und was sind meine persönlichen Triggerpunkte, die mich als Gastgeber auch schneller aus der Haut fahren lassen?
- Empathie: Ja, auch „Bösewichte“ wollen sich verstanden fühlen.
- IKEA Effekt = Partizipation: Statt einfach nur einen „Espresso oder Dessert aufs Haus“ auszugeben, mehr auf den Gast eingehen und ihn an der Lösung und dem Prozess beteiligen, ihn mehr ins Boot holen. Beispiel: „Wie kann ich Ihnen trotz der Unannehmlichkeiten doch noch ein kleines Lächeln auf die Lippen zaubern?“ oder „Wie können wir den Abend noch retten, sodass es doch noch einen schönen Abschluss gibt?“ Oder: „Was wäre – zumindest für den Moment – eine annehmbare Alternative?“ Auf diese Weise wird der Gast einbezogen, seine Bedürfnisse werden berücksichtigt und ihm wird zugehört. Dadurch wird er mit einer Lösung zufriedener sein und sich kooperativer zeigen.
- Körpersprache: Auch wenn Gäste natürlich keine Kriminellen sind, muss man den einen oder anderen manchmal in die Schranken weisen. Dabei ist die Körpersprache sehr wichtig. Das eigene Auftreten, die Körperhaltung, die Gestik, den Tonfall angemessen einsetzen bzw. zielgerichtet und situationsgerecht anpassen.
Was tun, wenn der Gast unbedingt den „Chef“ sprechen will?
Eine unprofessionelle, aber leider sehr häufige Reaktion ist die Belehrung nach dem Motto: „Der wird Ihnen auch nichts anderes sagen“, denn meistens tut er es dann doch. Das ist das Gruseligste, wenn der Chef „einknickt“, denn zum einen erzieht es den Gast, in Zukunft immer nach dem Chef zu schreien, zum anderen fühlt sich der Mitarbeiter hintergangen und lernt, Konfrontationen in Zukunft besser zu vermeiden.
Wie reagiere ich stattdessen in einem solchen Fall?
Besser ist die FBI-Methode: taktische Empathie, Verständnis zeigen, denn nur Verständnis führt zur Deeskalation. Eine wirklich gute Methode, bei der man sich nicht verbiegen muss und trotzdem Verständnis für sein Gegenüber signalisiert, ist das Aussprechen dessen, was der andere denkt. Drei Beispiele:
- „Verständlich, dass Sie nach dem Chef fragen, denn die aktuelle Situation ist für Sie nicht zufriedenstellend.“
- „Ich höre schon raus: Mit meinen Vorschlägen konnte ich noch nicht wirklich bei Ihnen punkten.“
- „Verständlich, dass Sie eine Instanz höher gehen wollen.
Wichtig: Positiv formulieren. Sonst hört der Gast gar nicht zu. Und bitte nicht in einem „Ja, aber“-Ton weitersprechen, sondern in einem kooperativen, aber bestimmten Ton: „Nun, genau für solche Situationen genießen wir das volle Vertrauen unseres Chefs. Er hat uns genau für solche Fälle mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet.“
Und dann?
Lösungsorientierung und Call-to-Action: Damit sich keine Endlosdiskussion entwickelt, die Situation im Sinne des bereits erwähnten IKEA-Effekts lösen. Weniger Konfrontation, mehr Kooperation lautet die Devise.
Sie bieten auch spezielle Trainings dazu an. Wie werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort gezielt auf Beschwerdesituationen vorbereitet?
Durch kontinuierliches Training, Videoanalysen (Verhalten, Kommunikation, Sprache, Abläufe, Wirkung auf den Gast) und Reflexion: Wie hätte ich anders reagieren können?
Was funktioniert gut?
Bei mir gibt es viel Interaktion, viele körperliche Übungen, kein langes Sitzen. Die Übungen sind auch für Mitarbeiter geeignet, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen. Das ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Die Teilnehmer ertappen sich bei ihren eigenen Mustern und bekommen in kürzester Zeit echte Einsichten und Anregungen, wie sie ihr Verhalten in kritischen Momenten ändern können. Dann simulieren wir – nicht im Seminarraum, sondern direkt im Restaurant oder an der Rezeption– realitätsnahe Situationen. Wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer gewohnten Umgebung befinden, verhalten sie sich authentisch. Anhand von Videoaufnahmen gehen wir dann auf die Details ein: Körpersprache, Haltung, Gestik, Mimik, Blickkontakt, Stimmlage etc.
Was kann man darüber hinaus tun?
Man kann das eigene Verhalten, die eigene Kommunikation auch in Standardsituationen und im Privaten reflektieren. Ein Beispiel: Den Gast (den Freund, die Kassiererin im Supermarkt) mit Namen ansprechen. Das geht immer mehr verloren. Wenn wir in den Standardsituationen routinierter werden, können wir auch in kritischen Momenten oder in Stresssituationen solche Leistungen besser abrufen. Wenn wir es aber in den Grundsituationen nicht drauf haben, dann werden wir auch in Stresssituationen nicht plötzlich besser.
Herr Lagemann, vielen Dank.
RAINER LAGEMANN
Rainer Lagemann (Jahrgang 1976) absolvierte eine Ausbildung zum Hotelfachmann und arbeitete anschließend auf einem 5-Sterne-Kreuzfahrtschiff im Service, später u. a. in der Hotellerie an der Rezeption. Durch seine 25-jährige Tätigkeit in der Gastronomie und Hotellerie kennt er die Probleme der Gastgeber aus erster Hand – ein Erfahrungsschatz, den der Profi heute in seine Verkaufs- und Kommunikationskonzepte einfließen lässt, die er in Schulungen weitergibt. Dabei ist jedes seiner Konzepte individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten. Inzwischen zählt Rainer Lagemann zu den führenden Coaches auf diesem Gebiet.