Der Berater Albrecht von Bonin ist ein Freund klarer Worte. Im Interview mit uns sagt er das Ende der Komfortzone in der Hotellerie voraus und fordert eine höhere Leistungsbereitschaft – auf allen Ebenen.
KÜCHE: Herr von Bonin, Sie sprechen sich offen für mehr Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft in der Hotellerie aus, auch wenn das nicht unbedingt dem Zeitgeist entspricht. Was steckt dahinter?
ALBRECHT VON BONIN: Seien wir doch bitte realistisch. Schon Jahre vor den aktuellen Krisen hat die Hotellerie ihre Mitarbeiter ausgebeutet, zu gering bezahlt und mit fehlender Wertschätzung gestraft. Die Quittung erhielt sie dafür in der Coronakrise. Tausende von guten Leuten sind in andere Branchen abgewandert (und werden vermutlich auch so schnell nicht zurückkommen). Die Hotellerie ist heute extrem gebeutelt. Um ihre Wirtschaftskraft wiederzuerlangen, braucht sie jetzt High Performer mit Vorwärtsdrang.
Es wäre unrealistisch zu denken, die dramatischen Transformationsprozesse in der Hotellerie bewältigen zu können ohne die Bereitschaft aller Mitarbeiter, die „Extrameile zu gehen“ oder „noch eine Schippe draufzulegen“. Nach meiner Erfahrung gelingt Wohlstand nicht ohne Leistungsbereitschaft. Statt die Arbeitswelt zum Ponyhof gestalten zu wollen, brauchen wir dringend den Abschied aus der Komfortzone. Wer die Forderung nach außergewöhnlicher Leistungsbereitschaft für altertümlich hält, hat offenbar den Schuss noch nicht gehört.
Sie bezeichnen sogenannte Benefits, mit denen Unternehmen neue Mitarbeiter gewinnen und vorhandene halten wollen, eher als „Zeichen von Ratlosigkeit“ denn als Einfallsreichtum. Sollten Unternehmen generell darauf verzichten?
Unternehmen bekommen immer die Mitarbeiter, die sie verdienen. Bei Personalknappheit werden plötzlich alle HR-Abteilungen und deren Agenturen hoch kreativ. Die Vielfalt von Benefit-Ideen ist kaum noch zu überbieten. Bei kritischerer Betrachtung sind Homeoffice, 4-Tage-Woche, Remote Work, Büro-Masseur, Tisch-Kicker oder kostenloser Kaffee und der obligatorische Obstkorb aber keine Lösung. Benefits nach dem Cafeteria-Prinzip heben zwar die Stimmung im Betrieb, lösen aber nicht die Personalknappheit. Am Ende hat all das die Klage über den Fachkräftemangel noch nicht reduziert.
Neulich senkte ein Arbeitgeber die Arbeitszeit auf 35 Stunden und ermöglichte seinen Mitarbeitern, ihren Job auch in vier Tagen zu erledigen. Die Sache klingt verlockend, hat aber zwei Seiten: Einerseits gut, weil Ergebnisse höher bewertet werden als die Zahl der Stunden, die jemand im (Home-)Office verbringt. Andererseits auch schlecht, weil eine solche Maßnahme ein falsches Zeichen setzt. In sogenannten „gemischten Betrieben“, also mit produzierenden Arbeitsplätzen und administrativen Bürojobs, entsteht eine Zweiklassengesellschaft. In der Küche der Koch, die Servicekraft im Restaurant, das Housekeeping fühlen sich von diesen Annehmlichkeiten ausgeschlossen. Unzufriedenheit und Neid entstehen.
Fragen wir uns lieber: Welchen Typ Mitarbeiter gewinnen wir eigentlich mit diesen „Geschenken“? Die Job-Nomaden ohne Loyalität, diejenigen, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, statt sich mit den Zielen des Unternehmens zu identifizieren?
Worauf sollten die Hotelbetriebe stattdessen setzen?
Hört man den Menschen aufmerksam zu, stellt sich heraus, dass die Gründe für Unzufriedenheit und Abwanderung auf der Hand liegen: schlechte Führung, geringe Wertschätzung durch Vorgesetzte, Ignoranz von Verbesserungsvorschlägen, fehlende Transparenz in der Kommunikation, hohe Arbeitsbelastung, weil wegen Personalmangel die Aufgaben auf weniger Mitarbeiter verteilt werden. Manchmal vermissen Mitarbeiter auch, den Sinn und Nutzen ihrer Arbeit am Gesamterfolg des Unternehmens vermittelt zu bekommen. Zu selten machen sich die Personalverantwortlichen Gedanken darüber, wie man den Wert ihrer Leistung fördern und anerkennen kann.
Es braucht keine Macht-Machos und Egomanen unter den Chefs, sondern Mutmacher und Menschenbegeisterer. Dabei muss gute Führung nicht mehr Geld kosten. Dort wo die Führungskompetenz nicht verfügbar ist, muss sie dringend durch Coaching und Training erarbeitet werden. Hier hat die Branche in der Vergangenheit zu häufig den Fehler gemacht, bei Beförderungen in Personalverantwortung zu sehr auf die fachliche Kompetenz zu achten. „Wer fachlich gut ist, kann auch führen, basta!“. Doch ist ausgeprägte Führungsfähigkeit unbestritten der Schlüssel zu mehr Leistungsmotivation und Produktivität. Führung wird zum Topic der Zukunft.
Digitalisierung, Automatisierung und noch mehr Technik halten vermehrt im Gastgewerbe Einzug. Droht hier nicht die Gästebetreuung auf der Strecke zu bleiben? Wie beurteilen Sie diese Entwicklung mit Blick auf die Hotellerie?
Zunächst: Gut gemachte Digitalisierung muss nicht unbedingt Entmenschlichung des Gastkontaktes bedeuten. Genau das Gegenteil sollte das Ziel sein: Digitalisierung zur Entlastung von lästiger Routinearbeit zugunsten des Zeitgewinns für den individuellen Gastkontakt. Corona-Pandemie, Lieferengpässe, Klimakrise und Fachkräftemangel werden dazu führen, dass die Hospitality Industry, aber auch ihre Gäste mit tiefgreifenden Umbrüchen klarkommen müssen.
Viele Hotels verzeichnen nach der durch die Pandemie bedingten „Eiszeit“ bereits wieder steigende Nachfrage und die Bücher sind wieder randvoll. Doch es fehlen die Menschen, die dieses Geschäft professionell abarbeiten. Wer heute noch in der romantisierten Welt des „Zu Gast bei Freunden“ oder „Wir sind alle Gastgeber“ verharrt, wer in Hotellerie, Gastronomie und Tourismus viele händische Arbeitsprozesse mit hohem Personalaufwand zulässt, der wird über lang oder kurz den Anschluss verpassen und seine Daseinsberechtigung aufs Spiel setzen.
Was sind für Sie die entscheidenden Faktoren,die die Hotellerie der Zukunft ausmachen?
Führungskompetenz wird in der Hotellerie von morgen der erfolgsentscheidende Faktor sein. Mit Vorgesetzten alten Schlages ist in globalen Märkten kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Führungskräfte, die heute über die Zukunft von Unternehmen entscheiden, dürfen nicht einfach nur präzise funktionieren.
Sie müssen vielmehr Verantwortung übernehmen, begeistern statt frustrieren, ihre Vorbildfunktion glaubhaft repräsentieren, kommunizieren statt regieren, anpacken statt sich anpassen. Bei der Vergütung nimmt die Hotellerie im Ranking mit anderen Branchen einen der hinteren Plätze ein. Wenn die Branche nicht noch mehr Arbeitnehmer verlieren will, wird es endlich Zeit, marktgerechte und leistungsorientierte Entlohnung einzuführen.
Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?
Auch die Optimierung der Arbeitsbedingungen, vor allem die Planbarkeit von Arbeit und Privatleben, Weiterbildungsangebote und authentische Betriebskultur stehen bei den Arbeitnehmern hoch im Kurs und entscheiden darüber, ob und für welchen Arbeitgeber sie sich entscheiden. Hier ist mehr Kreativität gefragt. An der zunehmenden Digitalisierung führt in Zukunft kein Weg vorbei.
Hier wird sich die Hotellerie einer Aufholjagd mit anderen Branchen stellen müssen. Wer künftig in bessere Vergütung, Digitalisierung und permanentes Upgrade der Erlebniswelt Hotel investieren soll, kommt um ehrgeizigere Preisstrategien nicht herum. Ein Blick in andere Länder zeigt, dass jegliche Hotelleistungen im Ausland größtenteils teurer bezahlt werden müssen. Hier muss die deutsche Hotellerie mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen und mutig ihr Preis-Leistungs-Verhältnis nach oben positionieren.
ÜBER ALBRECHT VON BONIN
Albrecht von Bonin ist Gründer der „Von Bonin + Partner Personalberatung“ im hessischen Gelnhausen. Nach Betriebswirtschaftsstudium und verschiedenen Managementpositionen in Vertrieb und Marketing bei internationalen Konzernen gründete er 1978 das Consultingunternehmen mit den Schwerpunkten Executive Search Suche und Auswahl von Führungskräften – und Hospitality Interim Management. Seit mehr als 40 Jahren berät der Business-Coach Unternehmer und Führungskräfte u. a. aus der Hotellerie. Sein Buch „Mitarbeiter suchen, finden, fördern, binden“ ist inzwischen zum Standardwerk geworden.