„Aus den guten Absichten gutes Essen kreieren“

Marketa Schellenberg: „Keine Ernährungswende wird sich ohne uns (Köche) bewegen lassen." – Foto: KÜCHE/Ingo Hilger
Interview Thomas Klaus und Petra Münster 10.09.2024 MAGAZIN  |  Karriere  |  AKTUELLES  |  News

VKD-Vizepräsidentin Marketa Schellenberg betreut im Verband der Köche Deutschlands e. V. das Projekt „Plant-based“, das Berufsschulen bei der Umsetzung der neuen Ausbildungsinhalte unterstützt. Im Interview äußert sie sich zu den Stärken und Schwächen der Ausbildungsreform im Hinblick auf die Zusatzqualifikation „Vertiefung für vegetarische und vegane Küche“. 

KÜCHE: Frau Schellenberg, wie bewerten Sie die erstmalige Aufnahme der Zubereitung vegetarischer und veganer Gerichte in den Ausbildungsrahmenplan? Hat sie sich bewährt?
MARKETA SCHELLENBERG: Ich finde die Aufnahme der pflanzlichen Zubereitungen in den Ausbildungsrahmenplan dringend notwendig. Jede Auszubildende und jeder Auszubildende sollte die Alternativen zu den tierischen Komponenten kennen. Er sollte diese auch aus gesundheitlicher Sicht einordnen und für unterschiedliche Gastwünsche sowie Ernährungsformen einsetzen können. Doch an dieser Stelle wird es schwierig. 

Wo genau liegen die Schwierigkeiten?
Gemeinschaftsverpflegung und Gastronomie können nicht auf die gleichen Zubereitungen zurückgreifen, weil die Bedürfnisse und auch der finanzielle Rahmen völlig unterschiedlich sind. 

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Als Beispiel gebe ich die Verwertung der pflanzlichen Abschnitte. In der Gastronomie kann ich aus Gemüseschalen Chips oder Asche als Dekoration für meine pflanzlichen Gerichte herstellen; ich kann diese fermentieren und verwerten. Hingegen gibt es in der Gemeinschaftsverpflegung gegebenenfalls gar keine Abschnitte, weil die Gemüsekomponenten bereits geputzt und vorgeschnitten geliefert werden. Hier sind wir wieder bei der Praxis: Wir brauchen hoch qualifizierte Ausbilderinnen und Ausbilder, die sich in diesem Bereich auskennen. Der Ausbildungsrahmenplan hilft nur bedingt weiter. Gefragt ist gelebte Praxis. 

Für die Vertiefung der vegetarischen und veganen Küche im Rahmen der Kochausbildung ist ein Zeitraum von acht Wochen vorgesehen. Halten Sie das für ausreichend?
Wenn eine Auszubildende oder ein Auszubildender in einem Betrieb arbeitet, in dem bereits regulär pflanzlich gekocht wird, wie zum Beispiel in einer Mensa oder in einem Betriebsrestaurant mit einem täglichen Angebot an pflanzlichen Gerichten, dann kann die Vertiefung für ihn beziehungsweise sie ausreichend sein. Wenn das jedoch nicht zutrifft und die pflanzliche Küche jenseits der Beilagen nicht vermittelt wird, dann stellt sich die Frage: Was soll hier eigentlich „vertieft“ werden? Für mich sind diese Wochen trotzdem wichtig. Denn sie können das Interesse an der pflanzlichen Küche wecken und die Auszubildenden für ihren weiteren Berufsweg motivieren. Einem gut ausgebildeten veganen Koch beziehungsweise einer Köchin stehen bereits jetzt gute Karrierechancen offen und das Thema vegetarische und vegane Küche wird tendenziell an Relevanz zunehmen. Kurz geantwortet: Mit dem Blick auf den Teller der Zukunft sind die acht Wochen für eine pflanzliche Küche definitiv zu wenig.

Wie beurteilen Sie die bisherigen Erfahrungen mit der Zusatzqualifikation „Vertiefung für vegetarische und vegane Küche“? Welche Stärken und Schwächen sehen Sie?
Zu den Erfahrungen kann ich derzeit noch nicht viel sagen. Wir sammeln diese gerade erst. Aber wenn man sich die Anlage 2 zu §18 (Abs.2) anschaut, sieht man schon, dass die vertiefende Zusatzqualifikation sehr ungenau beschrieben ist. Das kann eine Stärke sein, wenn es darum geht, die Vielfalt der pflanzlichen Küche aufzuzeigen. Den Lehrenden wird ein freier Rahmen geboten. Gleichzeitig kann es eine Schwäche sein, wenn die Lehrenden selbst nicht in dem Bereich der pflanzlichen Küche sattelfest sind. Eine Schwäche ist auch die Zusammenfassung von „vegetarisch“ und „vegan“, denn hier können wir meist einfach die vegetarischen Produkte mit den veganen Produkten ersetzen. Aber ein Ei ist in seiner Funktion, seinem Nährwert, seiner Beschaffenheit und seiner Wirkung im Produkt nicht einfach ersetzbar. Ich muss bei der Zubereitung der veganen Speisen genau auswählen, mit welchen rein pflanzlichen Produkten ich zum gewünschten Ziel komme. Und hier braucht es Erfahrung aus der Praxis. 

Wie aufgeschlossen erleben Sie die Berufsschulen bei der Wissensvermittlung zur pflanzenbasierten Küche?
Die Berufsschulen sind insgesamt sehr aufgeschlossen und bereit, auch die pflanzliche Küche zu vermitteln. Sie spüren den Handlungsbedarf und kennen auch ihre eigenen Defizite in diesem Bereich. Die Dozenten unseres VKD-Projektes berichten ebenfalls über sehr interessierte Schulklassen und engagierte Lehrkräfte.

Sie haben gerade das Plant-based-Projekt des VKD erwähnt. Wie viele Berufsschulen mit wie vielen Schülerinnen und Schülern haben bisher teilgenommen? Und wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Wir haben bereits 21 Schulen besucht und 208 Auszubildende geschult. Wir haben weitere Anfragen und wir könnten alljährlich neue Schulklassen beschulen. Allerdings ist das finanziell nicht machbar. Wir möchten daher eher aus unseren Erfahrungen ein neues Format schaffen, nämlich die Qualifikation in dem Bereich der pflanzlichen Küche für die Ausbilderinnen und Ausbilder selbst. Diese sind dann die richtigen Multiplikatoren für weitere Generationen von Köchinnen und Köchen in der Praxis.  

In einigen Jahren wird die Ausbildungsreform möglicherweise erneut überarbeitet. Was würden Sie sich dann für die Ausbildung im Allgemeinen und für die Vermittlung der pflanzenbetonten Küche im Besonderen wünschen?
Ehrlich gesagt bin ich mir nicht einmal sicher, ob das Berufsbild Koch/Köchin so überhaupt bestehen bleibt. Es gibt bereits Stimmen, dass es den Koch/die Köchin in dieser Form nicht mehr geben kann und differenzierter betrachtet werden sollte. Für die Gemeinschaftsverpflegung benötigt man heutzutage ganz andere Kompetenzen, Fertigkeiten und Kenntnisse als für ein Restaurant. Ebenso sind die Anforderungen im Health-Care-Bereich sehr spezifisch. Und es gibt sogar gastronomische Konzepte, bei denen Köchinnen und Köche nicht einmal mehr Kochkompetenz benötigen. Vielmehr werden sie zu einem Logistiker, der essbare Komponenten zusammenfügt und versendet. Die Garprozesse können während des Transports stattfinden. Für mich persönlich wäre eine solche Entwicklung allerdings ein Verlust der Berufsidentität. Koch oder Köchin zu sein, das ist nicht nur ein Beruf, sondern eine Geisteshaltung – ein Bekenntnis zu Tradition und Lebensstil.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Kochberufes?  
Die Arbeit des Kochs sollte ein Teil der medizinischen Konzepte der Zukunft sein. Wenn die medizinische Behandlung und die Verpflegung aus der Küche aufeinander abgestimmt sind und beide die gleiche Relevanz für das Wohlergehen der Gäste, Patienten, Heimbewohner, Kinder und der gesamten Gesellschaft genießen, dann haben wir als Köchinnen und Köche ein völlig anderes Standing in der Berufswelt. Wir wären nicht nur Genussbringer, sondern Fachkräfte, die Gesundheit, Arbeitskraft, Wohlbefinden und Wohlstand sichern.

Können die Köchinnen und Köche das denn leisten?
Das können wir leisten. Denn keine Ernährungswende wird sich ohne uns bewegen lassen. Wir sind die Kräfte, die aus den guten Absichten auch gutes Essen kreieren können. 

Frau Schellenberg, vielen Dank für das Gespräch. 



MARKETA SCHELLENBERG
Marketa Schellenberg (Jahrgang 1975) ist gelernte Köchin, Gourmetköchin für Vollwertkost (UGB) und arbeitet hauptberuflich als Produktmanagerin Eigenmarken beim Großhändler Transgourmet. Als Vizepräsidentin Ost betreut die gebürtige Tschechin im Verband der Köche Deutschlands e. V. (VKD) unter anderem das „Plant Based Projekt“, das Berufsschulen bei der Umsetzung der neuen Ausbildungsinhalte unterstützt.